Wortfindungsstörungen oder Die Facetten der Abschiedsmelanstalgie

Es gibt Momente, die fühlen sich an wie die finale Folge meiner Lieblingsserie. Wie der letzte Urlaubstag vor der Abreise. Wie die Abschiedsfeier eines Freundes, der ein Auslandsjahr plant. Wie das Ende meiner Schulzeit. Wie lange Umarmungen am Bahnhof, mit Menschen, mit denen ich viel zu wenig Zeit trotz viel zu großer Verbundenheit verbringen kann. Ehrlich gesagt fühlt sich für mich oft das ganze Leben so an. Warum gibt es in unserer Sprache keinen Begriff für dieses Gefühl?

Abschiedsschmerz reicht nicht, denn da ist so viel mehr als einfach nur Schmerz. Zum Beispiel Erinnerungen und Erlebnisse, die Dankbarkeit und Sehnsucht auslösen, Trauer und Frustration, Verzweiflung und Hoffnung. Der Schmerz beim Abschied mag allerhöchstens eine der vielen Folgen all dieser Gefühle sein, maximal eine Nebenerscheinung. Am meisten zu kämpfen habe ich eigentlich mit der Tatsache selbst, dass alles endet, und dass ich nichts daran ändern kann – was mich darüber hinaus im Nachhinein oft fürchten lässt, dass ich etwas Wichtiges verpasst haben könnte, während ich in meinem Kopf feststeckte und versucht habe, all die Geschehnisse und Emotionen zu verarbeiten. Manchmal blitzt dabei sogar ein wenig Erleichterung auf, dass es vorbei ist – jeder Mensch, der Gefühle sehr intensiv wahrnimmt, weiß, wie anstrengend stark emotional aufgeladene Zeiten sein können, egal ob positiv oder negativ (meistens ist es ohnehin eine Mischung aus beidem). Danach tut es unfassbar gut, die mentalen Akkus mal wieder aufzuladen, wenn wieder ruhigere Zeiten anbrechen.

Für Nostalgie ist der Moment zu jung; ja, er dauert genau genommen sogar noch an. Er ist noch nicht vorbei und deshalb kann ich ihn ein letztes Mal in vollen Zügen genießen, vielleicht sogar noch intensiver, jetzt, da ich mir seinem baldigen Ende bewusst bin. (Und nur, wenn ich mir nicht wieder selbst im Weg stehe …)

Melancholie erscheint mir vor allem nach Freuds Definition zu resignierend, denn obwohl sie zweifelsohne ein großer Teil meiner Persönlichkeit ist, reicht sie in diesem Fall nicht aus, um meinen Gefühlszustand zu beschreiben. Ich bin viel zu dankbar, die begrenzte Zeit des Glücks noch für ein paar weitere Atemzüge auszukosten, als dass ich jetzt schon (wieder) der Schwermut verfalle. Aber Moment mal – tue ich das nicht doch irgendwie, indem ich viel zu oft über das Ende all dessen nachdenke, was noch nicht vorbei ist? Und wie masochistisch wäre das?

Nein, stopp. Es muss einen Weg geben, dem Ende all der schönen Dinge entgegenzutreten, ohne es schon vorher unzählige Male im Geiste durchlebt zu haben. Und wie ist es möglich, damit zu leben, wenn ich die Endlichkeit weder ausblenden kann noch will, weil das vollkommen realitätsfern wäre? (Hier haben wir es wieder: Ignoranz bedeutet eben nicht Glückseligkeit, sondern Selbstbetrug.)

Vielleicht hilft ja Akzeptanz. Eines Tages kann ich eventuell die Endlichkeit akzeptieren, die mir so schwerwiegende Probleme bereitet und gleichzeitig die schönsten und emotionalsten Stunden meines Lebens beschert. Vielleicht. Nicht heute, auch nicht morgen, aber hoffentlich jedes Mal ein kleines bisschen mehr. Oder mal mehr, mal weniger. Wenn ihr unterdessen bessere Vorschläge als Abschiedsmelanstalgie zur Beschreibung dieser Gefühle habt: Immer her damit.

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