Warum hört eigentlich niemand, wenn einem das Herz bricht? Der Schmerz ist so extrem, dass es überall auf der Welt zu hören sein müsste. Doch welches Geräusch sollte das sein? Abschiede haben eine unvorstellbare Kraft, und doch sind sie nicht so recht greifbar. Wir sind ständig in Gefahr, etwas zu verlieren, was uns wichtig ist, und doch leben wir, als stünde nie ein Abschied bevor. Andererseits: Kann man sich auf Abschiede vorbereiten?
Je öfter ich mir in Erinnerung rufe, wie kostbar und zerbrechlich all das ist, was mich mit Glück erfüllt, desto inniger wird meine Beziehung dazu. Das kann sehr schön sein – solange all das da ist. Und genau hier liegt das Problem: Praktisch sekündlich bereite ich mich auf eventuelle Abschiede vor, habe im Hinterkopf immer das Worst-Case-Szenario und gleichzeitig so viel Hoffnung, dass bestimmt alles so bleiben wird, wie es ist, dass das Leben es doch auch mal gut mit mir meint. Und wenn ich dann doch Abschied nehmen muss, bin ich schockiert. Weil ich nie, niemals vorbereitet sein kann. Ich erwarte, dass es schlimm wird, aber es ist in Wirklichkeit viel schlimmer als in meiner Vorstellung. Ich nehme an, es wird mir schlecht gehen, doch in Wahrheit gehe ich durch die Hölle, wieder und wieder, und es hört nicht auf. Der Schmerz hört nicht auf, die Bestürzung und der Schock über all die zerstörten Hoffnungen und Träume zwingen mich in die Knie, doch am schlimmsten ist die Machtlosigkeit. Ich kann nichts ändern, kann die Zeit nicht zurückdrehen oder gar überspringen bis zu einem bestimmten Zeitpunkt, an dem ich den Verlust akzeptiert (Ich spreche bewusst nicht von „überwinden“ o. Ä., da das bedeuten würde, dass man vollends mit etwas „abschließen“ kann, was einen zutiefst erschüttert hat – das ist nicht möglich, da vor allem Trauer nonlinear ist und uns sogar für den Rest unseres Lebens jederzeit unterschiedlich stark begleiten kann.) oder irgendeinen anderen Weg gefunden habe, damit zu leben. Ich kann nichts tun außer die Achterbahn der Gefühle durchzustehen, die ein Verlust in mir weckt.
Zum Beispiel die Leere, die folgt, und den Verlust meiner selbst. Ich spüre nichts mehr, bin nur noch ein Zombie. Alles läuft automatisch ab, ohne meine Beteiligung. Ich existiere nicht mehr.
Trauer und Schmerz hingegen sind sehr körperlich und lassen mich wieder spüren, dass ich lebe. Allerdings auf eine sehr beschwerliche Art, die mich wünschen lässt, ich würde nichts mehr fühlen, nie wieder. Denn sie legen sich auf mein Herz, ein bleischwerer Nebel, der mich nach unten zieht, und dazu kommen die Stiche in der Brust, so regelmäßig wie mein Herzschlag.
Die Wut verleiht mir Kraft. Sie treibt mich an und lähmt gleichzeitig, indem sie immer dann aufkommt, wenn alles ganz normal scheint. Die Erde dreht sich weiter. Die Sonne geht morgens auf und ich verstehe nicht, warum, denn meine Welt bleibt dunkel. Hat denn niemand bemerkt, dass etwas fehlt – ein ganz wichtiger Teil, ohne den es nicht weitergehen kann?
Die Hoffnung, wenn auch nur winzig klein, dass das alles nur ein ganz schlimmer Albtraum ist, macht es nicht wirklich leichter. Sie begleitet mich erschreckend lange, immer wieder drängt sie sich in meine Gedanken, um sich in Erinnerung zu rufen und mich darauf aufmerksam zu machen, dass ich doch in einer eigenen Welt lebe. Realitätsflucht als Selbstschutz. Auf Dauer leider nicht sehr effektiv.
Ich weiß einfach nie so recht, wie ich mit Verlusten umgehen soll. Zeit meines Lebens begleiten sie mich und doch fühlt sich der Schmerz jedes Mal anders an – weswegen ich nie vorbereitet sein kann auf das nächste Mal. Das ist verdammt ermüdend, wenn man schon sehr, sehr viel gelitten hat. Immer wieder versuche ich, damit zu leben, all die Gefühle und Gedanken zuzulassen, die damit einhergehen. Aber manchmal macht einen all das, was einem widerfährt, nicht unbedingt stärker oder zu einem besseren Menschen, sondern einfach nur müde und zutiefst erschüttert. Und ich kann auch nicht immer dankbar für alles sein, was ich durchmache, denn manchmal ist es einfach nur schrecklich und nicht auszuhalten. Es ergibt eben nicht immer alles einen Sinn. Und dann gilt es, auch damit zu leben, all den Schmerz zu DURCHleben und zu ÜBERleben.
