Das Mädchen saß auf einem Stuhl, umgeben von Scherben. Ihre Hände hatte man hinter ihrem Rücken zusammengebunden.
„Steh nicht auf“, sagte man zu ihr, „sonst schneidest du dich.“
Sie tat, wie ihr geheißen, lange Zeit, zu lange vielleicht oder auch nur einen Augenblick lang – jedenfalls kam er ihr wie eine Ewigkeit vor. Sie wurde traurig; so traurig, dass sie beschloss, aufzustehen. Durch das Scherbenmeer hindurch bahnte sie sich ihren Weg. Und dabei beachtete sie keinen der Rufe, sie solle doch sitzenbleiben und aufpassen. „Pass auf!“, das hatte sie schon allzu oft gehört. „Pass auf“; aus diesen Worten las sie vielmehr eine Übertragung von Verantwortung, ja, eine Verweigerung der Verantwortungsübernahme seitens ihres Gegenübers statt einer ehrlichen Besorgtheit, einer Wertschätzung ihrer Person oder gar einer Liebesbekundung. Auch das Reflexivpronomen in „Pass auf dich auf“ machte nichts besser – noch immer fehlte ihr etwas. (Das Personalpronomen.) Niemand hatte die Scherben weggesammelt oder ihre Hände losgebunden.
Nicht alle Sätze, die in der ersten Person Singular beginnen, sind egoistisch, dachte sie, während sie zurückblickte. Hinter ihr ein Haufen Scherben in einem Fluss aus Blut. „Ich bin diesen Weg gegangen“, sagte sie mehr zu sich selbst als zu allen anderen, die sich bangend um sie und das Scherbenmeer herum versammelt hatten, „das ist mein Weg.“ Und indem sie weiterging, nahm sie dem Meer seinen Schrecken – es war ihr Blut, das an diesen Scherben klebte, doch es war getrocknet. Noch einige hundert schmerzhafte Meter lagen vor ihr, und in stiller Übereinkunft mit dem Schicksal, dass etwas Wunderbares hinter dem Scherbenmeer auf sie warten würde, schritt sie aufrecht voran.
