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Das Scherbenmeer

Das Mädchen saß auf einem Stuhl, umgeben von Scherben. Ihre Hände hatte man hinter ihrem Rücken zusammengebunden.

„Steh nicht auf“, sagte man zu ihr, „sonst schneidest du dich.“ 

Sie tat, wie ihr geheißen, lange Zeit, zu lange vielleicht oder auch nur einen Augenblick lang – jedenfalls kam er ihr wie eine Ewigkeit vor. Sie wurde traurig; so traurig, dass sie beschloss, aufzustehen. Durch das Scherbenmeer hindurch bahnte sie sich ihren Weg. Und dabei beachtete sie keinen der Rufe, sie solle doch sitzenbleiben und aufpassen. „Pass auf!“, das hatte sie schon allzu oft gehört. „Pass auf“; aus diesen Worten las sie vielmehr eine Übertragung von Verantwortung, ja, eine Verweigerung der Verantwortungsübernahme seitens ihres Gegenübers statt einer ehrlichen Besorgtheit, einer Wertschätzung ihrer Person oder gar einer Liebesbekundung. Auch das Reflexivpronomen in „Pass auf dich auf“ machte nichts besser – noch immer fehlte ihr etwas. (Das Personalpronomen.) Niemand hatte die Scherben weggesammelt oder ihre Hände losgebunden.

Nicht alle Sätze, die in der ersten Person Singular beginnen, sind egoistisch, dachte sie, während sie zurückblickte. Hinter ihr ein Haufen Scherben in einem Fluss aus Blut. „Ich bin diesen Weg gegangen“, sagte sie mehr zu sich selbst als zu allen anderen, die sich bangend um sie und das Scherbenmeer herum versammelt hatten, „das ist mein Weg.“ Und indem sie weiterging, nahm sie dem Meer seinen Schrecken – es war ihr Blut, das an diesen Scherben klebte, doch es war getrocknet. Noch einige hundert schmerzhafte Meter lagen vor ihr, und in stiller Übereinkunft mit dem Schicksal, dass etwas Wunderbares hinter dem Scherbenmeer auf sie warten würde, schritt sie aufrecht voran. 

Gastbeitrag von H.

Du bist leicht wie eine Feder
Doch Dein Kopf ist schwer wie Blei

Du trägst einen eiskalten Panzer
Und doch bist Du herzerwärmend

Du bist stark
Und doch zerbrechlich

Du bist frei wie ein Vögelchen
Und doch eingesperrt

Du bist wahnsinnig mutig
Und doch versteckst Du Dich hinter einer Fassade

Du bist schlau wie ein Fuchs
Und doch triffst Du falsche Entscheidungen

Du bist sehr eloquent
Und doch bleibst Du still

Du wirkst nach außen sehr aufgeräumt
Doch innerlich herrscht Chaos

Du wirkst wie ein Engel
Und doch bist Du diabolisch

Und trotz all Deiner Bemühungen, es zu verstecken, bist Du auch nur ein Mensch, der bedingungslos geliebt werden möchte. Und das wirst Du!

Memento mori

Weiße Lettern auf blauem Grund – verschwommen vorbeirasend und allmählich zum Stillstand kommend.
Wie ein Mahnmal all dessen, was ich verloren habe, bleiben sie direkt vor mir stehen. Ein klagendes Quietschen, dann ein lautes Schnaufen – schon bin ich frei, trete auf offenes Terrain, versuche benommen ein paar taumelige Schritte auf immobilem Grund. Mein rasendes Inneres prallt unsanft an starren Oberflächen ab. Urplötzlich wird mir klar: Ich bin gefangen in dieser Freiheit. Ausgeliefert, zum Abschuss freigegeben. Nichts trennt mich mehr von den Erinnerungen. Ich befinde mich auf einem Schlachtfeld, umgeben von nacktem Metall auf einem Untergrund aus Beton. Ich kann nicht fliehen; die unendliche Leere um mich herum könnte deprimierender nicht sein. Dann eine Gestalt, die um die Ecke biegt, ein ohrenbetäubender Knall – gefolgt von einem stechenden Schmerz. Ein Volltreffer. Ich schaffe es nicht, den warmen Fluss aufzuhalten, der aus meinem Auge strömt. Die linksseitige Dunkelheit gefällt mir auf Anhieb. Nie wieder grelles Licht. Keine schreienden Farben mehr. Wäre ich doch auf beiden Augen blind … Vorsichtig blinzelnd erkenne ich den Scharfschützen, der sich mir nähert. Der Gang, der Anblick seiner Hände, sein Gesichtsausdruck – alles an ihm erinnert mich an jenen Tag in einem verwunschenen Schlossgarten. Warme Hände, die meine nicht losließen. Tiefes Wasser, in das meine Augen blickten. Eine Gruft, die gerade düster genug war für zwei suchende Seelen. Ein Schuss, dann wieder der Schmerz. Vertraut müsste er inzwischen sein, und doch krümme ich mich darunter. Blute langsam aus an dem Ort, an dem wir uns zum letzten Mal sahen. Alles wird schwarz. Ich falle. Schnelle Schritte, ganz nah diesmal, ein Zögern, dann noch ein Knall – ich atme betörenden Duft und schmecke den Sommer auf seinen Lippen, während mein Herz unter der Last all unserer Momente birst. Ich strecke die Hand aus, doch greife ins Leere. Verloren. Ich habe alles verloren.

Poem for my soulmate

In hours of complete darkness, alas!
the brightest stars blind tired eyes,
their glow a torture for those intrigued
with the transcendental in disguise,
whispering softly, „I am here with you“.
Yet so far away, it holds – invisible –
a light of hope up in the sky,
though darkness it will take to see
how beautiful the blackest black can be
when there is someone far from here
who knows you and will soon appear
to remind you of your worth – and why
you feel at home only at night.

Tödliche Vergiftungen

Trügerisch war der erste Blick, dem er einst so viel Bedeutung beigemessen hatte,
zaghaft das erste Gespräch. Spielerisch eine Seelenverwandtschaft erkennend,
doch zu scheu, um diese zu benennen, kostete das Paar einen Schluck vom süßen Mittel
gegen innerlich empfundene Schmerzen – gerade genug war es,
um liebestrunken in den endlosen Abgrund alter Muster zurückzufallen
und, heimgesucht vom wahren Leben,
ausgewildert in einem Wald voller Einsamkeit,
das altbekannte Leid zu wählen,
statt etwas zu riskieren, was so viel verspricht.

Die Zweifel an seiner Liebe ließen sie kleine Tode sterben; immer wieder, bis auch der letzte Funken Hoffnung
am Nachthimmel verlischt.

Verzicht ist kein Beweis für Liebe, sondern Selbstgeißelung – doch warum sollte es diesmal anders sein,
wenn das Leben ihn bisher immer enttäuscht hat? Selbst wenn die Weichen für sein Traumland gestellt sind, wählt er stets dieselbe Richtung.
Und so verdient er immer nur das, was ihn ausbremst und niederdrückt,
wenn selbst der angenehmste Fahrtwind
nicht gut genug für ihn war.

Sie bleibt einsam auf den Schienen zurück,
begreifend, dass sie niemals heller leuchten wird
als all die Sterne über ihr.

Suchtkrank

Allmählich zersetzend
was einst unversehrt war
werden wir innerlich brüchig
und die Leere greifbar
nachdem Fülle befreite
lässt sie uns einsam zurück

Haben nie einen anderen Weg gekannt
zu existieren
nur kurz gelebt, wenn Grenzen verschwammen
um uns zu verlaufen und zu verlieren
verrannt, doch wissen nicht, wohin
Stille: lauter werdend, der Raum zwischen uns

Stumme Schreie ins Nichts
Nur das eigene Echo
welches ruft:
Du bist nicht genug.

Warum tun wir uns das an, wenn wir wissen, wie es ausgehen wird?
Warum ist alles, was uns freier atmen lässt, Gift für unsere Lungen?

Gastbeitrag von H.

Ich weiß nicht, was wir jetzt sind
Aber ich vermisse das, was wir mal waren
Du standest mir so nah wie keine andere
Doch jetzt bist du mir fremder als je zuvor
Du bleibst mir ein Rätsel
Ich weiß alles und doch nichts über dich
Wir waren immer ehrlich zueinander
Jetzt lügst du mich an
Früher hattest du immer Zeit für mich
Jetzt suchst du nach nem Platz in deinem Terminkalender
Früher haben wir jeden Tag telefoniert und geschrieben
Heute fragst du nicht mal mehr, wie es mir geht
Jetzt verbringst du deine Zeit lieber mit anderen und reibst es mir unter die Nase
Will nicht mehr darauf warten
Dass du dich wieder für mich interessierst

Du bist die harte Schale
Ich der weiche Kern
An dir prallt alles ab
Ich bin innerlich zerrissen
Du hast mir wehgetan
Ich habe es wortlos ertragen
Dir scheint es leicht zu fallen
Mich zerstört es
Du hast mein Herz gebrochen
Ich würde alles für dich tun
Du hast mein Leben bereichert
Jetzt ist es leer
Ich weine mir wegen dir die Augen aus dem Kopf
Und du weißt es nicht einmal
Ich denke jeden Tag an dich
Denkst du noch an mich?
Hab’s schon verstanden
Ich bin dir nicht mehr wichtig
Ich will von dir weg
Doch kann mich deinem Bann nicht entziehen
Geh aus meinem Kopf
Verschwinde endlich
Ich will gehen
Lass mich los
Ich will weg von dir
Lass mich endlich gehen

Will den Schmerz vergessen
Doch ertränken kann ich ihn nicht
Und so muss ich es ertragen
Wie mein Herz weiter bricht

Hätte ich dich bloß niemals kennengelernt
Du fehlst mir

Mein Anker

Zerklüfteter Stamm, entwurzelt, wunderschön
Um dich herum pulsiert das Leben, doch in dir
herrscht Leere
Sag, hasst du dich so sehr,
dass du nicht bemerkst, wie viele Menschen
täglich deine Nähe suchen?
Weil wir mit dir schreien, boxen, weinen können
oder einfach still dasitzen, Musik hören
und dir dabei zusehen, wie du
lautlos deine Lippen bewegst
um anschließend lautstark
mit dir zu singen
vom Leben
und all seinen Enttäuschungen

Deine Narben
machen dich interessant
Deine Wärme
strahlt aus deinem tiefsten Innern
mitten in mein Herz hinein
und weil du mir erlaubst, ich selbst zu sein,
kann ich es auch

Hand in Hand
entscheiden wir uns für die gleiche Straße
an der Gabelung – hier mit dir
habe ich keine Angst
vor extremen Steigungen
und dem tiefen Fall
weil all das zu unserem Weg gehört
und wenn die Stimmen lauter werden
werden wir sie fortschreien, fortrennen
und wenn es bergab geht
lass uns den Schwung mitnehmen
eintauchen ins kühle Nass
das Linderung verschafft
wo Worte nicht mehr helfen
hilft deine Stimme


Tanz der Dämonen

Einsam inmitten eurer Wärme
wird mir eure Gesellschaft zu viel
denn zu laut sind all die Stimmen
der Kontrast zur Stille in mir
unerträglich
Habe ich zu viel gegeben
und warum war es nicht genug?

Manchmal brauche ich eine Pause
von euch
und gehe in mich
Verlassene neigen dazu,
selbst zu verlassen
darum halt mich fest
im Lärm dieser Menschenleere
lass mich nicht allein
mit mir
Siehst du nicht, wie schön sie tanzen?

Auch wenn ich mich wehre
schreie, trete, boxe
um mich schlage
gilt das
immer nur
mir

Blick in die Ferne

Wir sehnen uns nach Wärme,
auch wenn die Nähe uns verbrennt.
So irren wir umher und bleiben uns selbst fremd;
Berührungen vermeidend, doch findend im Dunkeln.
Raue Hände, vom Festhalten geschunden,
spielen zaghaft unbekannte Lieder auf weicher Haut –
nur ein falscher Ton, und ihr Klang verstummt.
Haben wir zu viel gegeben – zu viel von uns?
Die ungeschönte Wahrheit trifft selten auf Gegenliebe …

Beim nächsten Mal vom Notenblatt,
mahnt der lärmende Verstand,
während das Gefühl erinnert:
Nicht noch einmal. Und nicht so.
Der sicherste Weg ist meistens der bequemste,
demnach geht die Entscheidung auf Distanz –
altbewährtes Mittel gegen sämtliche Gefühle.
Versonnen blicken wir auf den einen gelebten Moment zurück
und denken:
Bitte bleib

unerreichbar.