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Seelentier

Hinter kaltem Blau erblicken
mich Deine dunklen Augen traurig,
wenden sich schnell wieder ab.

Kein Glanz ist mehr zu finden in diesen Augen;
resignierend vor Ermattung kämpfst Du tagtäglich
gegen die Strömung an.
Du konntest Dich nie treiben lassen,
weil Du dann untergegangen wärst.

Wer nicht hinterfragt, sieht Aggression
in Deinen ruckartigen Bewegungen –
nur wir beide wissen, dass es Unsicherheit ist.

Kreaturen, die zu Unrecht beschuldigt wurden,
teilen eine Einsamkeit, die kein Kläger kennt.
Wer waren wir, bevor man uns zu Monstern erklärte?

Mein Blick fällt auf vernarbte Oberflächen,
die tiefer blicken lassen als gewollt.
Du verharrst regungslos,
als ich stumm die Hand nach Dir ausstrecke.

Behutsam durchdringen meine Fingerspitzen die Wasseroberfläche.
Kühles Nass lindert meinen Schmerz – doch ich greife ins Nichts,
auf mein Ebenbild blickend, das von seichten Wellen durchzogen wird
bis es sich schließlich auflöst, eins ist mit dem unendlich weiten Meer.

Luzifers Zurückweisung

Wo kleine Funken auf totes Holz treffen
füllt Feuer schwarze Leere im Geäst
enthüllt unbarmherzig jede Dunkelheit

Orangerote Flammen nähren sich von ihr
in blinder Zerstörungswut
wirft sie alles hinein, was sie vom Leben abhält

Abweisung und Distanz
Hemmung und Kontrolle
Traum und Erinnerung

Gierige Flammen küssen ihre Hände
bekunden Dank mit süßem Schmerz
ohne ihre Gaben anzunehmen

So sinkt sie nieder inmitten der Glut
abermals allein mit den Stimmen des Waldes
nicht geheilt, nie erlöst von sich

Die unerträgliche Heftigkeit des Fallens

Losgelöst von allen Fesseln der Vernunft
taucht sie ein in die düsteren Teile ihres Bewusstseins –
wo Freiheit herrscht, gibt es nichts mehr zu verlieren.

Leben bedeutete schon immer das Gegenteil ihrer Realität;
die Sehnsucht nach einem Ort, an dem Wahrhaftigkeit greifbar wird –
zuweilen durch die magische Präsenz eines Lichtbringers, der die Dunkelheit teilt.

Mit dem Unerreichbaren in unmittelbarer Nähe
wird es unmöglich, das Herz zu verschließen
gegen die Auferstehung eines längst vergessenen Traums.

Und wenn er auch nur eine Sekunde währt,
dankt sie dem Herrn, ihn gelebt zu haben –
das immer gleiche Schicksal bereits erwartend.

Die göttliche Strafe für Mut ist Abweisung
und die reinste Form des Schmerzes
ernährt sich von ihrer Einsamkeit.

Losgelöst von allen Fesseln der Vernunft
auf der aussichtslosen Suche nach Tiefe
fällt sie in den Abgrund zwischen Traum und Wirklichkeit.

Nomadentum

Unhaltbar wurde seine Existenz,
so ließ er alles hinter sich;
wo Leere ist, gibt es nichts zu verlieren.

Immer größere Kreise ziehend
durchkämmt er nun die Welt,
frierend im Schein der Sonne.

Auf seinem Weg begegnen ihm Menschen,
Bekannte, die zu Freunden werden könnten –
doch der Wanderer zieht weiter.

Getrieben von unstillbarem Durst
oder davongejagt von seinem Schmerz
sucht er, ohne zu wissen, wonach.

Er passiert Häuser und schaut durch Fenster,
Bildschirme, die Illusionen erschaffen
von einem besseren Leben.

Manche Filme wecken ein unbekanntes Gefühl in ihm,
sodass er verweilt, ja sogar zurückkehrt
und etwas zu lange bleibt.

Er taucht ein in Routinen, lebt mit den Protagonisten
als stiller Beobachter auf der anderen Seite.
Viel mehr als eine Glasscheibe trennt ihn vom echten Leben.

Wärme durchströmt ihn beim Gedanken,
das Leben der anderen zu leben.
Nur eine Weile – bis zum Abspann.

Geblendet vom Tageslicht
wird er blind für einsame Momente inmitten der Dunkelheit,
die die Figuren mit ihm verbinden.

Sein ganzes Leben verbringt der Träumende
schwankend von einem Film zum nächsten
immer suchend, doch nie fündig geworden.

Gastbeitrag von R.: Auferstehung im Schatten der Friedhofsbäume

Auferstehung im Schatten der Friedhofsbäume,
der vielgestaltigen, nicht nach Art bestimmten,
doch ihnen gemäß erkannt von ewig trauernden Augen.

Im Schatten der Friedhofsbäume, im lichten Schatten,
mit Blick auf Gräber, nicht mehr in Reih und Glied,
„in Liebe“ steht drauf auf dem einen.

Schmerzensreiche Liebe bringen sie dar, die Friedhofswesen,
die gießenden, Tränen verschüttend im Spiel von Schatten und Licht:
Funktionsloser Schmerz und Schönheit, die nicht kompensiert.

Im Schatten der Friedhofsbäume, auf hölzerner Bank gebannt,
geschützt vorm Ausritt ins gleißende Licht der Verführung:
Triumph ist verboten im göttlichen Garten.

Es war zu ahnen am Stamme des Kreuzes,
bleibende Wunden schlug es und Schatten warf es ins Paradies,
wo Triumph die Hölle wäre.

Drum klingen sie dorisch, die Lieder der Vögel,
sie schweben dazwischen, darunter und drüber,
sie laden zum Deuten und nicht zum Behaupten.

Und auch die Mücklein spielen, die altbekannten,
übermütig die Liebenden piksend, die auf der Bank,
doch Stiche und Wunden werden geküsst im Schatten der Bäume.

Die Lippen erzählen in Brocken vom Leben,
sie kommen ins Stocken und reden nicht weiter,
Lücken im Blattwerk, durchsickert von Gnade.

Die Augen, sie blinzeln, und schließen sich wieder,
genießen die Dauer des ewigen Kusses,
verspüren nicht Hunger, nicht Durst, aber Frieden.

Die Sehnsucht sieht wieder im himmlischen Garten:
Die Leere des Grabes geräumt für die Engel,
von denen der eine jetzt vollauf genügt.

Erst schüchtern und zaghaft, als wären sie Fremde
begegnen einander Vermisste, Ersehnte,
doch gibt’s kein „als ob“ im himmlischen Garten.

Drum greifen die Finger die Hände, die halten,
die Blicke erkennen, was einst sie geschaut
und ernten die Fülle vom Augapfelbaum.

Sie schmecken nach Rache, und Rache ist süß,
wenn der Tod kommt zu richten den billigen Trost
und Tränen errettet vom falschen Verdunsten.

Das richtige Leben verneint nicht das falsche,
umarmt die Dämonen und küsst sogar Wunden,
das Brodeln der Meinung ist jenseits der Mauer.

Umfriedete Bänke, im Wandel ihr Standort.
Spaziergang die erdigen Wege entlang
befreit auch die Wahrheit vom festen Bestand.

Gräbergruppen stadtviertelgleich,
und doch keins wie das andere:
Individuen paradiesisch bewahrt.

Nostalgisch die Weckuhr –
im Rucksack des ewigen Tages tönt sie vom Stündlein,
das ewig längst geschlagen haben wird.

Die Stunden verstreicheln der Liebenden Trennung.
Sie geht ihm noch nach und er hört ihre Stimme.
Und Schweigen schafft Raum für den Hall der Erzählung.

Auferstehung im Schatten der Friedhofsbäume,
der vielgestaltigen, nicht nach Art bestimmten,
doch ihnen gemäß erkannt von ewig trauernden Augen.

Kinder der Dunkelheit

Alles zerbricht.
Wir zerbrachen damals
und nun tun wir es wieder.
Zurück bleibt Leere,
aber keine Hoffnung.
Zu früh mussten wir begreifen,
wie schnell alles vorbei sein kann,
wie zerbrechlich alles ist.
Die einzige Sicherheit fanden wir in uns.
Vertrauen ist schwierig,
Verhüllung ist besser.
Der Plan war genial;
als Maskierung genügte ein Lächeln,
als Beschwichtigung ein Schweigen.
Immer im Konflikt mit uns und der Welt
wurde die Zerrissenheit ein Teil von uns.
Werden wir je lernen, zu leben?

Flussabwärts

Eines Tages musste ich anhalten
aussteigen aus der Tretmühle
um zu erkennen, dass ich mich
in ihren Speichen verloren hatte
Stück für Stück
ohne es zu bemerken
wurde ich all das, was ich niemals sein wollte
um tatenlos dabei zusehen zu müssen
wie alle Teile von mir
den Fluss hinabtrieben
unwiederbringlich
Lebewohl, sag ich
zu dir

Rückblicke

Erinnerungen regnen
erfrischend auf mich herab.
Bilder in meinem Kopf
lassen mich genießen, atmen, leben.
Vergangenes hilft,
die Gegenwart zu überstehen.
Nie ausgesprochene Worte
verfolgen mich.
Ich werde schneller, doch am Ende
holen sie mich ein.
Einst unbeachtete Details
werden riesig, bedeutend.
Erinnerungen prasseln
schwer auf mich herab.
Ich lebe sie noch einmal
und kann nichts dagegen tun.

(Dezember 2010)